Tobias Zeliss: Vitulus simplex

Als Mondkalb wurde landläufig ein Rindskalb mit Fehlbildungen bezeichnet, die man der Wirkung des Vollmonds zuschrieb. In Auseinandersetzung mit dem Thema hinterfragt Tobias Zeliss das Stereotype. Seine Arbeit kritisiert dabei diskriminierende Begriffe und Vorstellungen. Er untersucht den Paradigmenwechsel am Charakter des Mondkalbes im Wandel und Dilemma zwischen Unglücksfigur und Faszination.

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© Linda Kudla

Foto: © Salzburg Museum/Maurice Rigaud

Volkstum, Identitäten und Alltagsmythen

von Tobias Zeliss

Menschen suchten stets nach Bewältigungsstrategien in einer Welt, die ihnen wenig Schutz bot und in der sie mehr Verpflichtungen als Rechte hatten. Am schutzlosesten waren wohl die Bauern – die große Mehrheit der Bevölkerung – sie mussten seit dem beginnenden Mittelalter Kirchenzehnt zahlen, ein Vorläufer für die heutige Grundstücks- bzw. Vermögenssteuer.

Sie lebten in ärmlichen Verhältnissen, verrichteten täglich harte körperliche Arbeit und waren durchwegs rechtlos und zudem den Unwirtlichkeiten des Alltags ausgesetzt. Die erlebte Ohnmacht und das Ausgeliefertsein an die Kräfte der Natur entlud sich in einer vielfältigen Sagen- und Brauchtumswelt. Denn die ordnenden Bezüge im Katastrophismus der menschlichen Spezies sind es, zu denen Volkstum vorrückt.

Die Ausstellung „tradition2go“ im Hellbrunner Park ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Volkskunde, die das Oberflächliche, das Stereotype zu hinterfragen versucht; aber sie lädt auch ein, auf eigene Faust zu entdecken und neugierig zu werden. Zwei Monate hast du Zeit – von 4. Mai bis 23. Juni – die Kunstwerke der Studierenden an verschiedenen Positionen entlang des Weges zum Monatsschlössl zu betrachten und damit auch einen kleinen Einblick ins Kunstpädagogikstudium in Salzburg zu nehmen. Zu sehen wird auch ein Werk von mir selbst sein, das Mondkalb, oder genauer gesagt das „Vitulus simplex“. Als Mondkalb wurde landläufig die Missgeburt eines Rindes bezeichnet, dessen Fehlbildung man der Wirkung des Vollmonds zuschrieb. Der Begriff kommt seit dem 16. Jahrhundert in folkloristischer Tradition vor und hat im Laufe der Zeit verschiedene narrative Abwandlungen erfahren. Ich kam über einen persönlichen Zugang zu einer neuen Auffassung des Gegenstandes. Bei der Arbeit begleitete mich die Leitfrage, ob das ursprünglich als Unglücksfigur angesehene Mondkalb in eine völlig neuartige, faszinierende Gestalt verwandelt werden kann. Das Endprodukt erhielt den neu geschaffenen lateinischen Namen „Vitulus simplex“. ‚Vitulus‘ bedeutet ‚Kalb‘ – das Adjektiv ‚simplex‘ kann ‚naiv‘ und ‚dumm‘ meinen, aber auch ‚natürlich‘, ‚ehrlich‘, ‚offen‘ und ‚treuherzig‘. Das Ergebnis ist ein zutraulich wirkendes Fantasiewesen. Es ist allerdings nicht angenehm zu streicheln, weil es eine gekräuselte Oberfläche hat, die entfernt an eine Mondlandschaft erinnert. Die Hörner zeigen in verschiedene Richtungen, der ungewöhnlich geformte Schwanz schwingt bei der Fortbewegung von links nach rechts. Wo genau das Mondkalb im Hellbrunner Park grast, das müsst ihr selbst entdecken.